[Urban Mobility]

Die Fahr­karten, bitte!

Jeden Tag um 11.17 Uhr rollt eine Stra­ßen­bahn vom DHL-Betriebshof Hasel­holz in Schwerin in die Innen­stadt. Doch an Bord sind keine Passa­giere, sondern Pakete.

von Carla Wester­heide

Illus­tra­tion: Cartsen Lüdemann

Seit Ende Oktober fährt der Sonderzug und hält an insge­samt drei Stationen. Dort schiebt ein DHL-Mitarbeiter, der die Pakete auf ihrer Tour begleitet, einen Roll­con­tainer in einen abschließ­baren Schuppen und nimmt den leeren Container vom Vortag wieder mit. Und das alles in weniger als vier Minuten, denn nur so lange macht die Tram Halt.

Mitar­beiter vor Ort räumen dann die gelie­ferten Pakete in die Pack­sta­tion, von wo der Endkunde sie jeder­zeit abholen kann.

Bis zu 450 Pakete am Tag sollen so täglich beför­dert werden. Das redu­ziert die Anzahl der Zustell­fahrten und erhöht die Zustel­lungs­rate. Und ganz wichtig: Es senkt den CO2-Ausstoß. „Mit diesem bundes­weit einma­ligen Projekt sammeln wir Erfah­rungen, die für viele andere Kommunen von großer Bedeu­tung sein können“, sagt Schwe­rins Ober­bür­ger­meister Rico Badenschier.

Pendler werden zum Paketboten

Ende 2024 soll in Wien ein Crowd-Delivery-Projekt in den Test­be­trieb gehen. Dann sollen ÖPNV-Nutzer Pakete auf ihrer Fahrt mit der Tram oder dem Bus von einer Halte­stelle zu einer anderen in der Stadt mitnehmen und in einen Paket­lo­cker legen, von wo der Empfänger seine Sendung abholt.

Geleitet wird das Projekt Öffi-Packerl von Fraun­hofer Austria. Wichtig sei, dass Privat­per­sonen nur Sendungen auf den Wegen mitnehmen, die sie ohnehin im ÖPNV zurück­legen, erklärt Projekt­leiter Matthias Hayek. „Das heißt, wir schi­cken eine Person nicht weiter, als sie eigent­lich fahren will, nur weil das Paket an einen anderen Ort muss“, sagt er.

Das Projekt mag in seiner Form einzig­artig sein. Aber es gibt auch andere Forschungs­pro­jekte, die testen, wie Waren- und Perso­nen­ver­kehr kombi­niert werden können.

„Eine goldene Lösung gibt es noch nicht.“

Ulrich Müller-Steinfahrt, Leiter des Insti­tuts für ange­wandte Logistik der Hoch­schule für ange­wandte Wissen­schaften Würzburg-Schweinfurt

Um Pakete mit poten­zi­ellen Paket­boten zusam­men­zu­bringen, regis­triert sich letz­terer in einer App und gibt seine Route ein. Liegt eine Sendung für die Zeit und Strecke bereit, wird der Fahr­gast benach­rich­tigt und bekommt einen Code, mit dem er das Paket aus einer Paket­sta­tion am Start holen und am Ziel wieder ablegen kann. Laut Hayek können auch Teil­stre­cken berück­sich­tigt werden. Das bedeutet, ein ÖPNV-Nutzer nimmt ein Paket mit von Punkt A zu Punkt B und ein weiterer von Punkt B zu Punkt C.

Auch der Empfänger muss sich für das Projekt regis­trieren und sein Einver­ständnis geben. Schließ­lich über­gibt er seine Sendung an eine oder mehrere Privat­per­sonen, und die Zustel­lung kann länger dauern, als wenn ein KEP-Dienst die letzten Meter zur Haustür oder Pack­sta­tion über­nimmt. In der App kann der Endkunde dann genau mitver­folgen, ob und wann jemand sein Paket über­nimmt und wo es sich befindet.

Wird das Paket nicht von einem oder mehreren Fahr­gästen mitge­nommen, geht es zurück an den KEP-Dienst, der die Sendung dann zustellt, versi­chert Hayek. Er ist sich aber sicher, dass sein Projekt auf große Reso­nanz stoßen wird. Laut einer Umfrage des Fraun­hofer Austria sind mehr als 60 Prozent aller Befragten bereit, eine Sendung auf ihren tägli­chen Fahrten mit dem ÖPNV mitzunehmen.

Auch Paket­dienste sollten der Idee gegen­über offen sein, so Hayek. Laut dem Wissen­schaftler könnten diese ihre Kosten auf der letzten Meile bis zu 10 Prozent reduzieren.

Viele Forschungs­projekte laufen

Neben den Projekten in Schwerin und der öster­rei­chi­schen Haupt­stadt gibt es zahl­reiche weitere Ansätze. Beispiels­weise in Bayern im Rahmen des Projekts „Inter­mo­dale Paket­lo­gistik – Einsatz der Regio­nal­bahnen auf der vorletzten Meile“, das noch bis Ende Oktober 2023 läuft.

Regio­nal­bahnen sollen einge­setzt werden, um Waren und Pakete aus den Depots in der Stadt in die Peri­pherie oder Dörfer zu beför­dern. Das Stich­wort lautet „Inter­modal“, erklärt Ulrich Müller-Steinfahrt, Leiter des Insti­tuts für ange­wandte Logistik an der Hoch­schule für ange­wandte Wissen­schaften Würzburg-Schweinfurt. Denn die Bahn selbst fahre schließ­lich nicht bis zur Haustür des Endkunden, noch nicht einmal bis in jedes Dorf – vor Ort müssten Sendungen also per Lastenrad oder Elek­tro­fahr­zeug ausge­fahren werden.

Pakete werden in Schwerin täglich mit der Tram zu zentralen Pack­sta­tionen befördert

Quelle: DHL

„Es gibt drei Ansätze, wie ein Paket mit der Bahn trans­por­tiert werden kann“, sagt Müller-Steinfahrt. Alle drei sind in seinen Augen noch nicht ganz ausge­reift oder „visionär“, wie er sagt. Die meisten solcher Projekte setzten auf die Handgepäck-Lösung. „Das heißt, ein Zusteller fährt mit den Paketen mit. Er hat einen kleinen Roll­con­tainer dabei, den er am Ziel­bahnhof an einen Kollegen über­gibt, der dann mit einem anderen Fahr­zeug die Vertei­lung auf der letzten Meile über­nimmt“, erklärt Müller-Steinfahrt.

Eine andere Lösung sei, dass nur der Container in den Zug geladen und entspre­chend gesi­chert wird. Am Ziel­bahnhof wird er ausge­laden und die Sendungen mit einem anderen Fahr­zeug zugestellt.

„Eine goldene Lösung gibt es noch nicht“, weiß Müller-Steinfahrt. „Es muss schnell rein und schnell raus passieren. Deswegen ist ein fester Platz inner­halb der Züge, der eben auch dementspre­chend ausge­baut und gesi­chert ist, essen­ziell“, sagt er.

Recht­liche Herausforderungen

Auch recht­lich gebe es noch einige Dinge zu klären, betont Müller-Steinfahrt. Denn der ÖPNV werde von den Kommunen finan­ziell unter­stützt. Es sei noch nicht abschlie­ßend geklärt, ob ein System, das mit öffent­li­chen Geldern geför­dert wird, Einnahmen durch Waren­trans­porte gene­rieren darf.

Podcast

Was, wenn Ihr Sitz­nachbar im Regio­nalzug demnächst nicht mehr auf sein Handy starrt, sondern eines ist – gut verpackt in einem Karton? Pakete im ÖPNV: Hören Sie mal rein!

Zu dem Ergebnis, dass es noch recht­liche Hürden zu über­winden gibt, kommt auch das Rese­arch Lab for Urban Trans­port (Relut) der Frank­furt Univer­sity of Applied Sciences (Frank­furt UAS). 2019 hatte das Relut die Logistik Tram in Frank­furt getestet. Im Rahmen des Projekts „Logistik Tram III“ wurden die recht­li­chen Knack­punkte iden­ti­fi­ziert. Dazu gehört beispiels­weise, wie das Geschäfts­feld Güter­ver­kehr auf Betreiber von Stra­ßen­bahnen ausge­weitet werden darf oder welche Sicher­heits­vor­schriften für den Güter­trans­port im ÖPNV gelten müssen.

Nach der Analyse von Gesetzen auf Bundes- und EU-Ebene sei klar, dass Waren­trans­porte nur mit Ausnah­me­ge­neh­mi­gungen im ÖPNV trans­por­tiert werden können. Da aber kein Anspruch auf Ausnah­me­ge­neh­mi­gun­gegn bestehe, werde es regio­nale Unter­schiede geben, so die Experten.

Es somit unklar, ob die Projekte in Schwerin oder in Wien die Ausnahme bleiben oder KEP-Dienste lang­fristig mit ÖPNV-Projekten planen können.