[Urban Mobility]

„Wo Logistik fehlt, leidet auch die Lebensqualität“

Alex­ander Hand­schuh, DStGB auf dem 20. Deutsch­land­forum
Foto: DStGB

Städte benö­tigen eine sichere und effi­zi­ente Versor­gung. Der Dialog zwischen Trans­port­branche und dem öffent­li­chen Sektor muss inten­si­viert werden, fordert Alex­ander Hand­schuh, Spre­cher des DStGB, im Inter­view mit What Cities Want (WCW).

von Tim-Oliver Frische

WCW: Herr Hand­schuh, gegen­wärtig gibt es welt­weit 34 Mega­städte mit jeweils mehr als 10 Millionen Einwoh­nern. Zur Jahres­mitte 2021 lebten welt­weit geschätzt 4,5 der insge­samt 7,9 Milli­arden Menschen in Städten. Das entsprach 57 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2030 dieser Anteil bei 60 Prozent liegen wird. Welche Erwar­tungen leiten Sie daraus für die Logistik ab?

Alex­ander Hand­schuh: Diesen Trend beob­achten wir bereits seit vielen Jahren und er ist unge­bro­chen, auch wenn die Pandemie diese Entwick­lung sicher­lich etwas gebremst hat. Mehr Menschen in den Ballungs­ge­bieten bedeuten auch zusätz­liche Heraus­for­de­rungen für die Versor­gung mit Gütern und Dingen des tägli­chen Bedarfs. Dafür brau­chen wir eine zuver­läs­sige, starke Logistik in allen Berei­chen. Von einer funk­tio­nie­renden Logistik wird auch die Lebens­qua­lität in der Stadt von morgen entschei­dend abhängen.

Mit Blick auf Deutsch­land und die jewei­ligen Städte und Gemeinden unter­scheiden sich die Erwar­tungs­hal­tung in städ­tisch und länd­lich. Wie gehen Sie beim DStGB diese zwei Seiten der Medaille an?

Über unsere Mitglieds­ver­bände vertreten wir ja die ganze Band­breite von Kommunen, von der Groß­stadt bis zur kleinen Gemeinde. Die Erwar­tungs­hal­tung unter­scheidet sich nicht grund­sätz­lich, es geht um Zuver­läs­sig­keit und die Versor­gung mit Waren und Gütern. In den städ­ti­schen Gebieten spielen sicher­lich die Themen rund um die letzte Meile eine große Rolle, das ist auf dem Land nicht so sehr von Bedeu­tung. In den länd­li­chen Regionen geht es vor allem um die Gleich­wer­tig­keit der Lebens­ver­hält­nisse und die Verfüg­bar­keit von Dienst­leis­tungen rund um die Logistik, wie etwa „same day delivery“.

Die städ­ti­schen und länd­li­chen Bedürf­nisse vereinen ja gemein­same Erwar­tungs­hal­tungen: Versor­gungs­si­cher­heit bieten, Lebens­qua­lität gewähr­leisten und die Wirt­schat in Schwung halten. Liegt darin nicht auch immer eine Chance, dass die Logistik und der Wunsch nach einer lebens­werten Stadt sich nicht einander ausschließen müssen?

Natür­lich ist Logistik von entschei­dender Bedeu­tung für Wirt­schafts­kraft und Versor­gungs­si­cher­heit. Logistik und Lebens­qua­lität schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Das wird viel­fach über­sehen. Ich denke, man kann es sogar umge­kehrt formu­lieren: Wo Logistik fehlt, leidet auch die Lebensqualität.

Welchen Wunsch haben Sie an die Logistik?

Für die Zukunft wird es wichtig sein, den Dialog zwischen Logistik und dem öffent­li­chen Sektor, vor allem mit den Kommunen, zu inten­si­vieren. Die Heraus­for­de­rungen bewäl­tigen wir nur gemeinsam, daher sollten wir zu einem noch besseren Mitein­ander kommen. Unser Ziel muss es sein, den Standort Deutsch­land und die Kommunen zu stärken. Das schaffen wir nur, wenn alle gemeinsam an der Entwick­lung der „Stadt von morgen“ arbeiten.

Eine Ideen­schmiede ist ja der Inno­va­tors Club, den Sie mit Ihrem Team leiten. An welchen Ideen wird gefeilt?

Unsere Ideen­schmiede Inno­va­tors Club ist einzig­ar­tiger Zusam­men­schluss von Bürger­meis­te­rinnen und Bürger­meis­tern. Wir arbeiten dort gemeinsam mit Wissen­schaft und Wirt­schaft an Zukunfts­themen, etwa in den Berei­chen Nach­hal­tig­keit, Digi­ta­li­sie­rung oder Bildung. Derzeit stehen die Vorbe­rei­tungen für unser nächstes Deutsch­land­forum mit dem Titel „Ausbre­chen“ an. Dort wollen wir über­legen, wie wir mit inno­va­tiven Konzepten aus den von Krisen geprägten Mustern ausbre­chen und uns den drän­genden Zukunfts­auf­gaben widmen können.

Foto: Baris Cihan

Zur Person

Alex­ander Hand­schuh, Poli­tik­wis­sen­schaftler, ist seit dem Jahr 2018 Spre­cher des Deut­schen Städte- und Gemein­de­bundes. Beim kommu­nalen Spit­zen­ver­band verant­wortet er die poli­ti­schen Grund­satz­fragen und das gesamte Thema Digi­ta­li­sie­rung. Er lebt in Berlin und in der Nähe von Bonn und kann daher sowohl die Groß­stadt als auch die Schön­heit des Natur­parks Sieben­ge­birge genießen. In seiner Frei­zeit liest er gerne gute Bücher, fiebert und leidet mit „seinem“ Verein Fortuna Düssel­dorf und gönnt sich ab und an zum Feier­abend einen guten Weißwein. 

Lassen Sie uns konkret werden: Wie bewerten Sie die bishe­rigen Smart-City-Anwendungen?

Es gibt schon einige gute Lösungen, die auch in der Praxis im Einsatz sind. Aller­dings gelingt es noch viel zu wenig, diese dann auch wirk­lich in die Fläche zu bringen. Außerdem handelt es sich viel­fach immer noch um Insel­lö­sungen, wir brau­chen aber bereichs- und sektoren­über­grei­fende Konzepte. Die alte Forde­rung „Raus aus den Silos“ hat also nichts an Aktua­lität verloren. Es muss uns gelingen, verschie­dene Sektoren einer Stadt auf Daten­basis intel­li­gent zu vernetzen.

Liegt nicht im gemein­samen Teilen und Nutzen von Daten auch ein unend­lich großer Schatz verborgen?

Ja, daher darf es auch nicht länger darum gehen, auf Daten­ho­heit oder Daten­ei­gentum zu setzen. Daten teilen ist das Gebot der Stunde, das gilt für den öffent­li­chen Sektor ebenso wie für die Privat­wirt­schaft. Durch einen großen Pool an Daten können wir die Inno­va­ti­ons­bremse lösen und es werden ganz neue Anwen­dungen entstehen.

Gleich­zeitig sind aber auch die Kommunen gefor­dert, ihre Daten­schätze zu heben und nutzbar zu machen…

Was aller­dings eine Heraus­for­de­rung darstellt. Der kommu­nale Daten­schatz ist zwar vorhanden, aber teil­weise noch nicht wirk­lich nutzbar. Es muss nun darum gehen, die vorhan­denen Daten in einer guten Qualität und einem einfach nutz­baren Format bereit­zu­stellen. Klar ist aber auch, dass es dafür Geld und Know-how braucht. Beides ist in vielen Kommunen momentan nicht ausrei­chend vorhanden.

Ich möchte gern noch eine Hoch­rech­nung ins Spiel bringen: Bis 2035 gehen in Deutsch­land jedes Jahr eine Million Menschen in Rente. Ist das nicht für eine Volks­wirt­schaft eine gefürch­tete Entwicklung?

Ja, natür­lich. Die Auswir­kungen spüren wir bereits jetzt und das Problem wird sich weiter verschärfen. Der Mangel an quali­fi­ziertem Personal lässt sich auch durch eine Auswei­tung der Fach­kräf­te­zu­wan­de­rung kaum beheben. Umso wich­tiger ist es, auf effi­zi­ente digi­tale Werk­zeuge, auf Auto­ma­ti­sie­rung und viel­leicht irgend­wann auch auf KI zu setzen. Anders werden wir die Lücke kaum schließen können.

Eine Konse­quenz daraus ist sicher auch, dass sich die Städte radikal ändern werden müssen. Lautet die viel zitierte „15-Minuten-Stadt“ das Ziel?

Diese Idee ist ja nicht neu. Gute Stadt­pla­nung hat immer auf kurze Wege gesetzt und einen poly­zen­tri­schen Ansatz verfolgt. Aber wir fangen in Deutsch­land ja nicht auf der „grünen Wiese“ an und planen Städte nicht am Reiß­brett neu. Es muss uns daher gelingen, die bestehenden Struk­turen sukzes­sive so umzu­bauen, dass wir diesem Ziel näherkommen.

DStGB

Der Deut­sche Städte- und Gemein­de­bund (DStGB) vertritt die Inter­essen der Städte und Gemeinden und greift Themen auf, die die Bürger in den Kommunen vor Ort bewegen — auf Landes‑, Bundes- und EU-Ebene. Durch 17 Mitglieds­ver­bände sind 11.000 große, mitt­lere und klei­nere Kommunen über den DStGB orga­ni­siert und vernetzt. Der Bund arbeitet partei­un­ab­hängig und ohne staat­liche Zuschüsse. Die Beset­zung der Organe orien­tiert sich an dem Votum der Wähler bei den Kommu­nal­wahlen. www.dstgb.de

Inno­va­tors Club

Der vom DStGB initi­ierte Inno­va­tors Club (IC) befasst sich mit stra­te­gi­schen Zukunfts­themen der Kommunen wie Bildung, Klima, Energie, Stadt­ent­wick­lung, Kommu­ni­ka­tion, IT und Koope­ra­tion. Ziel ist, über die Tages­po­litik hinaus zu denken und neue Wege für die kommu­nale Arbeit aufzu­zeigen. Zudem ist er eine vertrau­liche Platt­form für den Austausch von Visionen, Ideen, Erfah­rungen und zahl­rei­chen Konzepten. Im IC arbeiten rund 60 Ober­bür­ger­meister, Bürger­meister und Land­räte sowie Führungs­kräfte aus Politik, Wirt­schaft und Wissen­schaft inter­dis­zi­plinär zusammen. www.innovatorsclub.de