Digitaler Selbstbedienungsladen: Der Lebensmitteleinzelhändler Tegut hat „Teo“ eingeführt.
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Klappt das mit der Online-Bestellung? Kommt die Ware rechtzeitig und unversehrt bei mir an? Liegt das Paket im Garten oder vor der Haustür? Alles Fragen, die doch in der Stadt weitestgehend gelöst sind und keine Probleme beim Empfänger aufwerfen. Aber im ländlichen Raum, in dem in kleineren Städten und Dörfern die Empfänger wohnen, ist das anders. Hier sind logistische Versorgungskonzepte erforderlich, jenseits der Hoffnung, alleine mit Online-Bestellungen die täglichen Bedarfe zu decken.
Mehr als 25 Jahre wurden unter dem Etikett „Citylogistik“ Konzepte entwickelt, Maßnahmen erprobt, teils wieder eingestellt oder verstetigt. Ein langer Erfahrungsprozess, bei dem die Maßnahmen bekannt sind und oft aus kommunaler Sicht individualisiert auf die jeweilige Situation zugeschnitten werden. Für den ländlichen Raum fehlen Erfahrungswerte, welche Lösungsansätze für eine rurale Versorgungslogistik geeignet sind.
Fehlende Mobilitätsangebote
Urbanisierung und „Landflucht“, oft ausgelöst durch die unzureichende Versorgung im ländlichen Raum wie durch den Wegfall von lokalen Versorgungsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs, Schließung von Bildungseinrichtungen, fehlende Präsenz ärztlicher Dienste oder das eingeschränkte Angebot an Betreuungs‑, Ausbildungs‑, und Qualifizierungsmöglichkeiten, sind ein Treiber für zunehmend wenig attraktive Räume mit geringer Bevölkerungsdichte. Unzureichende Mobilitätsangebote eines oft defizitären ÖPNV schränken die Erreichbarkeit von Versorgungsmöglichkeiten ein.
Bei ausreichender Bandbreite der Datenleitungen scheint die Versorgung via E‑Commerce eine Option, bei der die Zustelllogistik der Paketdienstleister aber an wirtschaftliche Grenzen stößt. Geringe Stoppzahlen, lange Wege zwischen den Empfängern sowie eine geringe Erstzustellungsquote beim Endempfänger bei hohen Serviceerwartungen hinsichtlich Lieferzeiten und Lieferfenster prägen die Situation. Die geringe Dichte an Abhohl-/Ablieferstationen im „zersiedelten“ Raum erschweren die Übergabe oder gar die Retourenabwicklung – wenn etwa bis zu 10 Kilometer gefahren werden müssen, um ein Paket zu retournieren.
Zudem haben nicht alle Bürger, insbesondere der älteren Generation, Zugang zu Online-Bestellsystemen. Überdies sind die meisten Lebensmittel-Onlinehändler regional begrenzt oder schließen bestimmte Liefergebiete aus (Bringmeister, myTime, marktfee). Ähnliches gilt auch für die Lebensmitteleinzelhändler, die im ländlichen Raum Lieferdienste anbieten. Alternative flächendeckende Versorgungssysteme, die nicht primär durch Paketzusteller gesichert sind oder auf ausreichende Mobilitätsangebote für Fahrten zur nächsten Einkaufsstätte setzen, sind gefragt.
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Fulfillment neu gedacht
In vielen Gemeinden hat sich aus der Not ein Engagement entwickelt, sich gegenseitig zu unterstützten und zu helfen. Bürgerliche Energiegenossenschaften (Gemeinde Unsleben in Unterfranken), Einkaufsdienste für Mitbürger, Fahrgemeinschaften zur Einkaufsstätte oder der Betrieb eines Dorfladens als sozialer Treffpunkt und Serviceeinrichtung sind Belege hierfür. Digitale Dörfer, die über eine Plattform Nachbarschaftsdienste koordinieren, sind ein zunehmend verbreitetes Konzept. Die gegenseitige Unterstützung kann sich auch auf das Fulfillment von Online-Bestellungen beziehen. Pendeln doch viele Berufstätige meist allein täglich zu ihren Arbeitsplätzen und könnten Pakete für ihr Dorf und/oder ihre Gemeinde mitnehmen. Ride-Pooling, das heißt Mitfahrgemeinschaften nicht nur für Personen, sondern auch Güter unter Einbezug von Transporten, die ohnehin stattfinden. Check Robin in Österreich, ÜberBringer (Berlin), Trunksta (Köln, Düsseldorf), Co-Carrier (Berlin) oder Packator Heroes in München und Berlin bieten diese Crowd Delivery mittels App primär in Städten an.
Ähnlich auch die Nutzung von Taxis für die Paketbelieferung in München oder einige Start-ups, die Geschäftsreisenden Pakete mitgeben. Um die Mitnahmeoption sinnvoll für den ländlichen Raum zu gestalten, könnten Paketdienste an frequenten Park-and-ride-Plätzen Paketautomaten für die Übergabe an Bürger, die dann die letzte Meile abwickeln, installieren. Der Konsument übernimmt für sich oder andere dann logistische Transportdienste und wird zum Logsument. Mögliche Übergabepunkte im Ort können Gaststätten, Gemeinschaftshäuser oder Dorfläden sein. Für die Paketzusteller erhöht sich der Dropfaktor pro Stopp und diese können zeitlich entkoppelt die Paketstationen befüllen und Retouren entnehmen.
Mit den Erfolgen der Direktvermarkter, ihre lokalen Produkte über Automaten anzubieten und zu verkaufen, wurden diese zunehmend als Einkaufsmöglichkeit erweitert und im ländlichen Raum aufgestellt. Lebensmittelautomaten, platziert in Gemeinschaftshäusern zentral in Dörfern, ersetzen den fehlenden Tante-Emma-Laden und ermöglichen einen täglichen 24-Stunden-Einkauf. Automatenanbieter wie Stüwer berichten von der Nutzung der Dorfautomaten als Übergabeoption von online bestellten Lebensmitteln oder Wunschartikeln, die dort individuell abgeholt werden können. Dies funktioniert laut Stüwer nicht nur in Dörfern. So gebe es einen erfolgreichen Automaten-Marktplatz am Bahnhof in Freiburg. Dort seien mehrere Automaten optisch ansprechend für einen Einkaufsbummel aufgestellt.
Rewe & Co. testen
Mit ähnlichem Ziel, ein Einkaufen jederzeit zu ermöglichen, testen Lebensmitteleinzelhändler Walk-In-Stores. Tegut hat „Teo“ als digitalen Selbstbedienungsladen eingeführt, in dem Bürger mit einer App Zugang zu den Waren erhalten, sie einscannen und digital bezahlen können. Rewe eröffnete bereits die vierte 24-Stunden-Einkaufsbox. Unter dem Label „Fritz’ nahkauf Box“ wird in einem 1.000-Einwohner-Dorf in Sachsen die Versorgung mit frischen Lebensmitteln und rund 800 Produkten des täglichen Bedarfs auf einer Verkaufsfläche von knapp 40 Quadratmetern bargeldlos betrieben. Die Logistik für die Bestückung beziehungsweise Belieferung dieser „Übergabesysteme“ ist durch die gebündelte Anlieferung von Produkten respektive Bedarfen – da zeitlich entkoppelbar – wirtschaftlich interessant. Ebenso, wenn man mit mobilen Packstationen agiert, die an bestimmten Tagen als „Drop-Station“ von Paketbestellungen oder Retouren im ländlichen Raum bereitgestellt werden.
Kooperative Lösungen gefragt
Ein weiterer Stellhebel für neuartige Ansätze sind kooperative Lösungen in Zeiten, in denen Zusteller gesucht sind und eine wirtschaftliche Zustellung – außer in Mischgebieten – im ländlichen Raum kaum möglich ist. „White Label“-Lösungen, etwa eine gemeinsame oder neutrale Paketstation fest oder mobil im ländlichen Raum, können eine konsolidierte Bestückung und Entsorgung ermöglichen. Oder ein Übergabepunkt eines Landlogistik-Hubs, bei dem die Pakete für die Last-Mile-Belieferung in Kooperation ausgeliefert werden, wäre ein weiterer Ansatz. Gleiches gilt auch für den „Betrieb“ von gemeinsamen Mikrohubs in Städten, in Ballungszentren oder im ländlichen Raum in stillgelegten Bahnhöfen. Voraussetzung wäre ein offener oder neutral moderierter Datenaustausch über eine Vernetzungsplattform. Anknüpfungspunkt könnten hier auch regionale Plattformen sein, auf denen lokale Händler ihre Waren und das Fulfillment anbieten und einen gemeinsamen Landlogistik-Dienstleister nutzen. Das ist zum Beispiel in der Stadt und im Landkreis Hof als neuartiges Business Model angedacht.
Neue Lösungen braucht das Land, am besten auch eine systematische Entwicklung und einfache Erprobung in städtischen und ruralen Reallaboren. Dabei sind Unternehmen, kommunale Verantwortliche und Bürger gefragt, etwa unter Moderation von Methodenexperten von Hochschulen, Lösungen für das Land zu entwickeln. Ein „physical internet“, bei dem alle Transportoptionen des ÖPNV, Privat-Pkw, Zustellfahrzeuge oder Taxis vernetzt und für Waren- und Personentransporte hybrid nutzbar sind, wäre sicherlich so eine disruptive Lösung. (tof)
Professor Ulrich Müller-Steinfahrt leitet das Institut für angewandte Logistik (IAL) an der Technischen Hochschule in Würzburg und gilt als Experte für innovative Versorgungslösungen im urbanen und ländlichen Raum