[Urban Mobility]

Der Sturm auf die letzte Meile

Von Tim-Oliver Frische

„Urbane Logistik neu gestalten!“ Wie das gelingen kann, zeigte das Event „THE LAB“ im Digital Hub Logi­stics Hamburg.

Citylogistik

Fotos: Dierk Kruse

Ist die Gesell­schaft bereit für eine lebens­werte Stadt? „Ja!“, lautete die einhel­lige Antwort auf der DVZ-Veranstaltung „THE LAB – New Ideas For Last Mile Logi­stics“ im Digital Hub Logi­stics in Hamburg. Und ja: Hamburg kann wie Paris eine 15-Minuten-Stadt werden, „wenn wir denn bereit sind, ideo­lo­gie­frei mitein­ander zu disku­tieren“, wie es Jan-Oliver Siebrand, Leiter des Geschäfts­be­rei­ches Nach­hal­tig­keit und Mobi­lität der Handels­kammer Hamburg, einfor­derte. Gesagt, getan: Rund 90 Vordenker aus Verwal­tung, Politik und Wirt­schaft lieferten gleich einen ganzen Pool an Konzepten und prak­ti­ka­blen Lösungen, wie die letzte Meile aussehen kann. Oder wie es Björn Marc Paulus, Gründer von Picks­hare, auf den Punkt brachte: „Es war ein Sturm auf die letzte Meile.“

Nur gemeinsam Stark

Stürme in Wasser­glä­sern, so die Binse, sind ja eine laue Sache. Aber der 5. Boden im Digital Hub Logi­stics in der Spei­cher­stadt bot nicht nur die perfekte Loca­tion. Es spru­delte hier nur so vor Ideen und Lösungen für eine lebens­werte Stadt. Und das ist keine einfache Sache, „eher eine Mammut­auf­gabe“, wie Hermes-COO Martin Schlüter im Nach­gang zum Event in den sozialen Medien postete: „Sicher ist, wir können urbane Logistik nur gemeinsam gestalten.“ Als Paket­dienst­leister wolle das Unter­nehmen nicht nur tagtäg­lich in den Straßen sowie auf den Fuß- und Fahr­rad­wegen der Bundes­re­pu­blik ein Teil des Bildes sein, „sondern viel­mehr aktiv unseren Beitrag zur Mobi­li­täts­wende und zu lebens­werten Räumen leisten, gerade in den Innen­städten“. Nach­hal­tige Lösungen für die City-Logistik von morgen zu entwi­ckeln und umzu­setzen sei für den Logis­tik­dienst­leister deshalb „essen­ziell“.

Monja Mühling, Co-Founder & CEO von Smart­lane, nahm diesen Ball auf. „Aus meiner Sicht sind entschei­dend: ein gemein­sames Mindset und der Willen, eine lebens­werte Stadt zu errei­chen (was im Übrigen nicht den eigenen wirt­schaft­li­chen Inter­essen entgehen stehen muss). Ein offener Daten­aus­tausch, um diese für den effi­zi­enten Einsatz von Verkehrs­mit­teln und ‑trägern zu nutzen. Inno­va­tive Tech­no­lo­gien, die opti­mieren, auto­ma­ti­sieren, inte­grierbar und im besten Falle selbst­ler­nend sind. Danke für die Diskus­sion zu meinen Gedanken. Wir stehen mit unserem Mindset bereit — Let´s Go!“

Ein Aufruf mit Substanz: ONO, präsen­tiert von CMO Inga Töller, arbeitet mit klima­neu­tralen Lasten­rä­dern, die kleine Container bewegen. Sechs davon passen auf einen Pkw-Parkplatz. Das Unter­nehmen koope­riert mit dem Parkraum-Spezialisten Apcoa, der in mehr als 13.000 Stand­orten in Europa die Möglich­keit bietet, in den Parkraum-Immobilien Urban Hubs zu betreiben. Ono fährt beispiels­weise für das Textil­un­ter­nehmen Mewa in Berlin und Hamburg in einer B2B-Geschäftsbeziehung. Durch das Zusam­men­spiel der drei Unter­nehmen und der prak­ti­zierten White Label-Lösung vor Ort, ergeben sich neue Chancen bei der Gestal­tung der letzten Meile.

Kommunen: mehr gestalten und kommunizieren

Michael Pfef­ferle, Bereichs­leiter Smart City & Smart Region beim Bitkom, fokus­sierte zusammen mit Carsten Hansen, Leiter Grund­satz­fragen und Innen­stadt beim BIEK, auf das hiesige Paket­vo­lumen. 4,51 Milli­arden Pakete seien 2021 in Deutsch­land verschickt worden, sagten sie unisono. „Jedoch verfügen laut Smart City Index nur 47 Prozent der Groß­städte über Mikro­de­pots und ledig­lich 60 Prozent über alter­na­tive Zustell­me­thoden auf der letzten Meile“, so Pfef­ferle. Für Städte und Logis­tik­un­ter­nehmen bestehe hier eine „gigan­ti­sche Heraus­for­de­rung, die nur durch eine stär­kere Vernet­zung zu bewerk­stel­ligen ist. Und wie Alex­ander Hand­schuh vom Deut­scher Städte- und Gemein­de­bund aufzeigte, müssen sich Kommunen ihrer Gestal­tungs­auf­gabe stärker bewusst­werden und in den Dialog mit Unter­nehmen treten“, forderte er. „Wir müssen hier mehr Tempo machen“, reichte ihm DStGB-Sprecher Hand­schuh verbal die Hand.

Um in 15 Minuten alle Dinge des tägli­chen Lebens zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu errei­chen, seien Verbote und Einzel­lö­sungen nicht ziel­füh­rend, stellte dagegen Siebrand weiter fest. City-Logistikkonzepte sollten anbie­ter­über­grei­fend und skalierbar sein. Aller­dings müssten dafür auch die erfor­der­li­chen Flächen bereit­ge­stellt werden – siehe Gestal­tungs­auf­trag der Kommunen. Tunnel für 300 Meter und zu viel Geld seien für Hamburg nicht der rich­tige Weg. „Warum nicht über über­ir­di­sche Gondel­ver­kehre denken oder eine Renais­sance der Stra­ßen­bahn ins Spiel bringen?“, fragte er ins Publikum.

Rytle zeigt Skalier­bar­keit und Bike

Zumin­dest in Sachen Skalier­bar­keit legte Rytle auf der Solutions-Stage im THE LAB vor. Mitt­ler­weile bewege die Deut­sche Post allein 5.000 Lasten­fahr­räder aus seinem Hause, 6.000 seien es insge­samt in 16 Ländern, führte Johannes Hill aus. Als Head of Global Busi­ness Deve­lo­p­ment sieht er Rytle in einer neuen Phase, „in einer 2.0‑Phase“, wie er sagte. 90 Beschäf­tigte zählt das Unter­nehmen, „das seine Start-up-DNA nie verloren hat“, betont Hille. Engi­nee­ring und Produk­tion treffen sich dabei unter einem Dach, und „das Maß der Logistik ist die Palette“, so Hill. Genau dafür sind Rytle-Bikes gemacht. Es steckt halt auch ein biss­chen Krone in Rytle. Ein aktu­elles Lastenrad zur Anschauung stand am Veran­stal­tungstag vor dem Digital Hub Logi­stics Hamburg vor der Eingangstür.

„Ein tolles Podium und Mischung zwischen Corpo­rates und Start-ups, inklu­sive Relaunch des neuen Bran­dings von Picks­hare von CEO Björn Marc Paulus. Die Zeit für eine Dekar­bo­ni­sie­rung von Verkehr und anderen Sektoren läuft. Jetzt geht es um schnelle Umset­zungen im städ­ti­schen und auch im länd­li­chen Raum“, kommen­tierte Chris­toph von Viebahn von der Hoch­schule Hannover auf LinkedIn. Er fand die passenden Worte zum Abschluss eines span­nenden Tages, der in den gängigen sozialen Medien noch lange nach­hallte und eine Wieder­ho­lung von den Vorden­kern einfor­derte. Viel­leicht in Hannover…