Herr Malitzke, Sie waren direkt im ersten Jahr in Ihrer neuen Position als CEO von DPD Deutschland mit einer globalen Krise konfrontiert. War dies das schwierigste Jahr Ihrer bisherigen Karriere?
Eric Malitzke: Ja, es war herausfordernd und für mich ein außergewöhnliches Jahr. Ich habe mit einer für mich neuen Mannschaft Entscheidungen treffen müssen, für die es keine Präzedenzfälle gab.
Was war eine wichtige Entscheidung, die Sie in der Krise getroffen haben?
Wir haben mehrere erfolgskritische Entscheidungen getroffen, zum Beispiel die Einberufung eines täglichen Krisen-Calls Anfang März, die Umstellung auf das mobile Arbeiten sowie die Umstrukturierung unserer Kernprozesse, beispielsweise die Einführung der kontaktlosen Zustellung.
Viele KEP-Unternehmen arbeiten an nachhaltigen Konzepten. Wie sieht das bei DPD aus?
Wir werden als DPD-Gruppe bis zum Jahr 2025 rund 225 europäische Städte emissionsarm, elektrifiziert oder auch mit Cargo-Bikes umweltfreundlich beliefern. Wir werden mehr zur granularen Verteilung in den Städten kommen, etwa mit Satelliten- oder Mikrodepots. Auch die Art und Weise, wie wir bauen, wird sich verändern. Das neue Depot in Holzgünz nahe Memmingen, das wir gerade in Betrieb genommen haben, ist beispielsweise nahezu energieautark. Das ganze Gebäude ist in seinen Emissionen um 80 Prozent reduziert – das wird in Zukunft unser Standard für Neubauten sein.
Ist das eine Reaktion auf die Coronakrise?
Nein, aber wir haben die Projekte in ihren Dimensionen angepasst. Die Ballungsräume und urbanen Zentren müssen entlastet werden. Denn einerseits gibt es in den Städten ein großes Bewusstsein für das Thema Ressourceneinsparung, andererseits ist das Bedürfnis nach Versorgungssicherheit und Lebensqualität gerade hier besonders stark ausgeprägt. Wir müssen uns daher Gedanken beispielsweise um eine noch bessere Bündelung von Sendungen machen. Die Mobilität, wie wir sie heute kennen, wird dazu auf Dauer nicht ausreichen. Wir brauchen neue Verkehrskonzepte.
Wie könnten diese aussehen?
Zum einen geht es um bewusste Verkehrsvermeidung durch alternative Zustellmodelle. Auf der letzten Meile wird Elektromobilität immer wichtiger. Langfristig bin ich aber der Überzeugung, dass Wasserstoffantriebe eine größere Rolle spielen müssen, gerade dann, wenn der Wasserstoff energieschonend produziert wird.
Setzt DPD dazu schon erste Projekte um?
Wir sind mit mehreren Industriepartnern in Kontakt, zum Beispiel mit Unternehmen aus dem Fahrzeugbau oder der Energieversorgung. Wir tauschen uns eng mit verschiedenen Initiativen über die Entwicklung solcher Konzepte aus.
Im Mai 2020 hatten Sie bereits die Vorjahresmengen vom Weihnachtsgeschäft erreicht. Was erwarten Sie für das Jahr 2021?
Wir erwarten nach wie vor hohe Paketmengen. In diesem Jahr sind wir schon im Januar mit dem Sendungsvolumen von Mai 2020 gestartet.
Was bedeutet das für Ihre Unternehmensstrategie?
Wir haben den Anspruch, den aktuellen Strukturwandel aktiv mitzugestalten, und verstehen uns als Chancenverwandler für unsere Partner. Mehr als bisher müssen wir helfen, die Chancen des Einzelhandels zu skalieren. Der lokale Handel muss sich gerade jetzt in der Krise wandeln, um weiter erfolgreich zu sein. Wir müssen über Kooperationen gemeinsam hybride Geschäftsmodelle und Multichannel-Lösungen entwickeln. Das ist Teil unserer Aufgabe, und das verfolgen wir bereits in verschiedenen regionalen Kooperationen.
Haben Ihre B2B-Kunden durch Corona einen verstärkten Fokus auf die Multichannel-Perspektive gelegt?
Absolut. Der Handlungsdruck ist enorm gestiegen, so dass Fulfilment und Multichannel für alle Kundengruppen große Themen sind. Nur auf die Geschäftslogik vor Corona zu setzen, wird nicht ausreichen.
Sie sagen, dass Corona die Entwicklung bei DPD um vier Jahre beschleunigt hat. Was bedeutet das für die Nachhaltigkeitsprojekte bei DPD?
Dass sie sich ebenfalls erheblich schneller entwickeln müssen. Darüber sind wir als Innovationsführer auch nicht überrascht. Mein Eindruck ist, dass sich die Akzeptanz für das Thema Nachhaltigkeit in der Branche insgesamt erhöht hat. Wenn Sie so wollen, wirkte die Krise als eine Art Katalysator, der Handlungsdruck erzeugt hat.
Wo haben Sie bei DPD Handlungsdruck festgestellt?
Beim Ziel emissionsfreie Zustellung. Das haben wir nun als messbare Größe fest in der Strategie verankert – als klare Vereinbarung mit klarem Fahrplan. Auch wenn die Coronakrise kleine organisatorische Themen vorübergehend leicht ausgebremst hat, haben wir unseren Fokus behalten und die vor Corona gesteckten Ziele bereits heute übertroffen.
11 Mrd.
Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete DPD im Jahr 2020.
%
wuchs der Erlös im Vergleich zum Vorjahr
Milliarden Pakete stellte DPD im vergangenen Jahr weltweit zu
Millionen Pakete lieferte DPD 2020 in Deutschland aus
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mehr B2C-Sendungen als im Vorjahr verzeichnete die DPD Group
Vor einem Jahr sagten Sie im Gespräch, dass in der Branche große Potenziale zu heben sind. Welche sind das für die nächsten Jahre?
Die Branche muss sinnvolle Alternativen zur Haustürzustellung noch viel stärker nutzen und Out-of-Home-Optionen wie Paketstationen oder Paketshops weiter vorantreiben. Darüber hinaus wird es darauf ankommen, wie die Logistik ihre neue Rolle zwischen Industrie, Handel und Verbrauchern definiert.
Was wird 2022 die wichtigste Innovation in der KEP-Branche sein?
Ich glaube nicht, dass wir schon jetzt die eine wichtige Innovation identifizieren können. Es wird mehrere Neuerungen für verschiedene Anwendungsfälle geben. Möglicherweise könnte die Zustellung am nächsten Tag in den Hintergrund rücken, und stattdessen könnte es gefragter werden, dass die Empfänger Zeit und Ort der Zustellung von vornherein selbst festlegen. Auch Plattformstrategien wird eine immer wichtigere Rolle zukommen.
Sie waren unter anderem auch bei Amazon tätig und sind überzeugt, dass das Unternehmen die KEP- und Logistikbranche revolutioniert hat. Was macht Amazon besser?
Ich glaube nicht, dass Amazon auf der letzten Meile etwas wesentlich besser macht als der Rest des Marktes. Ein großer Vorteil des Unternehmens ist die Datenhoheit vom Versender bis zum Konsumenten. Das gilt auch für die Gesamtheit des Prozesses vom Kauf bis zum Empfang. Alles ist bedingungslos prozessorientiert, standardisiert, skalierbar und immer replizierbar – in einer unglaublichen Konsequenz. Daher ist Amazon in der Logistikbranche schon der Benchmark, was Effizienz, Skalierbarkeit und den Wert von Analytics betrifft.
Hängen deutsche beziehungsweise europäische KEP-Unternehmen dem hinterher?
Ich glaube, Europa muss vehement Initiativen starten, um in der Technologisierung und Digitalisierung wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn wir keine Konzepte gegen die große Macht von amerikanischen und chinesischen Unternehmen entwerfen, dann werden wir irgendwann von deren Technologien abhängig sein. Es wäre eine große Chance für Europa und Deutschland, sich über Forschung, Entwicklung und Bildung zusammenzuschließen und so Alternativen anzubieten.