Von Claudius Semann
Christoph Tripp erlebt die Konsumenten der Zukunft tagtäglich in seinem direkten Umfeld. Erstens lehrt der Professor Distributions- und Handelslogistik an der Technischen Hochschule in Nürnberg. Und zweitens ist er Vater von zwei Kindern, die der Generation Z angehören.
Damit sind die etwa in den 2000er Jahren geborenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeint. Über diese sogenannten Post-Millenials sagt Tripp: „Sie leben überwiegend online, lieben Bequemlichkeit und entscheiden sehr spontan, was, bei wem und in welchem Kanal sie einkaufen.“
Vor allem Convenience, was so viel wie Bequemlichkeit, Komfort oder Einfachheit bedeutet, sei mit Blick auf den Kunden heute und in Zukunft der entscheidende Treiber im Einzelhandel und den Prozessen dahinter, weshalb Tripp seine Keynote beim E‑Commerce Logistics Day der DVZ mit der These beginnt: „Service ist das neue Produkt“.
Er sehe bei der Generation Z eine Selbstverständlichkeit, Services in Anspruch zu nehmen. Deren Verhalten sei maßgeblich durch das Smartphone geprägt. „Sie sind permanent an allen Entwicklungen dran und wollen ihre Bedürfnisse schnell befriedigen“, sagt Tripp. Diesen jungen Menschen sei es völlig egal, welche logistischen Probleme ein Händler und seine Dienstleister haben. „Sie sind auf Convenience getrimmt, wollen alles sofort bestellbar und verfügbar haben – und sie sind extrem illoyal.“ Letzteres liegt vor allem daran, dass es sehr leicht ist, zwischen Onlineanbietern zu wechseln. Der Käufer kann online zudem einfach Produkte und Preise vergleichen. Diese extrem niedrigen Wechselbarrieren erschweren die Prognosen im Abverkauf. „Der Konsument ist in seinem Einkaufsverhalten mittlerweile wenig berechenbar“, sagt Tripp. Auch deshalb setzen viele große Anbieter wie Amazon, Otto oder Zalando inzwischen auf Kundenbindungsprogramme.
Individualisierung versus Nachhaltigkeit
„Die Präferenzen der Konsumenten entwickeln sich außerdem zunehmend ambivalent“, fügt Tripp hinzu. So erwarte der Kunde einerseits immer mehr Individualisierung und Personalisierung. Andererseits verstärke sich zusehends der Trend zur ökologischen und auch sozialen Nachhaltigkeit. „Die Wertschätzung der Paketfahrer schlägt sich bisher aber leider nicht in der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher nieder“, merkt Tripp an. Umweltthemen spielten inzwischen auch bei der Versandverpackung eine Rolle. Aber meist habe der Konsument bei negativen Erlebnissen auch hierbei heute höchstens ein schlechtes Gewissen.
Das Thema Omnichannel, also die Verzahnung des Filial- und des Onlinegeschäfts, hält Tripp derzeit offenbar noch für etwas überbewertet. „Dennoch sagen die Experten, dass diese Entwicklung kommen wird“, fügt er hinzu. Aktuell allerdings sei noch zu beobachten, dass der Kunde in dem Kanal kauft, in dem er auch sucht oder sich informiert. Das Hin- und Herspringen zwischen den Kanälen finde seltener statt als viele denken. „Services wie Click & Collect stehen zudem in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den die Händler dafür betreiben“, sagt Tripp.
All das, was sich auf der Vertriebsseite abspielt, sorgt in der Logistik für große Herausforderungen. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die verschiedenen Kanäle logistisch integriert oder eben separat abgewickelt werden – „an einem Logistikstandort, mit dann möglichen Produktivitätsverlusten oder eben an getrennten Standorten, mit dann aber höheren Bestandskosten“, sagt Tripp. Auf die Frage der Integration oder Separation gibt es im Markt derzeit sehr unterschiedliche Antworten. Wichtig sei nur, betont Tripp: „Der Fokus muss auf dem Kunden liegen.“
Dessen Verhalten bestimmt letztlich die Anforderungen für die Logistik. Im E‑Commerce wesentlich seien hier weiterhin die Themen Verfügbarkeit und Geschwindigkeit – unter dem Primat der Kostenoptimierung. Der Druck ist laut Tripp sehr groß, hohe Servicequalität zu liefern. „Aber Service kostet Geld“, betont der Experte. Und häufig würden die möglichen Umsatzsteigerungen durch bestimmte Services erheblich überschätzt. Als Beispiel nennt Tripp hier Same Day Delivery. „Was da alles schon für Fantasien im Markt waren. Aber wenn man die Realität sieht, ist von dem Thema aktuell nichts übriggeblieben.“
Der Kunde will wissen, wann die Ware kommt
So seien Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit derzeit und in Zukunft zwar die schlagenden Themen. „Aber natürlich wird uns das Thema Geschwindigkeit auch nicht loslassen“, bedauert Tripp. „Wir sind in so einem Hamsterrad, wo es offensichtlich nur noch darum geht, dass alles möglichst schnell gehen muss, egal ob es sinnvoll ist oder nicht.“ Seiner Ansicht nach wird die Diskussion darüber noch viel zu wenig geführt. Eine hohe Relevanz des Themas Schnelligkeit bei den Onlinekäufern sehe er jedenfalls zurzeit überhaupt nicht. Wesentlich wichtiger für die Kunden sei da zum Beispiel die Frage: Kosten die Zustellung und die Retourenabwicklung etwas? Zudem gehe es den Kunden in den meisten Fällen gar nicht um eine möglichst schnelle, sondern eher um eine verlässliche Belieferung. „Und dabei interessiert es nicht, wann das Paket an welchem Standort umgeschlagen worden ist. Damit kann kein Endkunde was anfangen“, sagt Tripp. In Sachen Transparenz wolle der Käufer allerdings wissen, wann die Ware kommt. Und das müsse dann verlässlich sein. „Das Zeitfenster muss planbar sein“, betont Tripp.
Das große Thema für die Händler, vor allem in dem zurzeit stark volatilen Geschäft mit sehr großen Risiken, sei die Skalierbarkeit. Hier geht es darum, schnell in der Lage zu sein, Kapazitäten bei starker Nachfrage hochzufahren beziehungsweise Kosten anzupassen im Falle einer Unterauslastung bei geringerer Nachfrage. „Das pusht natürlich das Thema Outsourcing“, sagt Tripp. Er spricht im E‑Commerce derzeit von der dritten Outsourcing-Welle, wobei die zweite Welle teilweise sogar von einem Insourcing geprägt gewesen sei. „Was wir jetzt sehen, ist, dass viele Händler strategisch die Zügel in der Hand halten wollen, aber das Risiko der Auslastung operativ dem Logistikdienstleister übertragen“, sagt Tripp. Der Logistiker ist dann also für die Skalierbarkeit verantwortlich. Das sei ein neues Verständnis von Kernkompetenzen.
D2C ist im Kommen
Hinzu komme, dass sich die E‑Commerce-Logistikdienstleister schon seit Jahren zum Dienstleister entwickeln. „Sie übernehmen auch heute schon Services, die mit klassischen logistischen Dienstleistungen gar nichts zu tun haben“, sagt Tripp. Hier sieht er aber noch mehr Potenzial. Den Fulfilment-Markt in Deutschland schätzt der Experte ungefähr auf 10 bis 12 Milliarden Euro. Ein Wachstumstreiber könnte zum Beispiel der Trend zum Direktvertrieb (D2C) sein. Hier gab es laut Tripp zuletzt hohe Wachstumsraten, auch wenn die Volumina letztlich noch vergleichsweise klein seien. Den Herstellern fehle für den direkten Onlineverkauf an den Endkunden aber meist die Kompetenz. „Die brauchen die Hilfe der Dienstleister“, ist Tripp überzeugt.
Der Professor rät den Logistikdienstleistern, so wie die Händler, stärker in Ökosystemen zu denken. „Sie müssen schauen, dass sie sich Partner dazu holen. Nicht alles, was Sie anbieten, müssen Sie selber machen.“ Und sie sollten sich gegenüber dem Handel stärker als strategischer Partner positionieren und so Teil der Entwicklung der Händler werden.
Für die Händler selbst geht es laut Tripp vor allem um Datenkompetenz. „Der Onlinehandel hat ja den Vorteil, dass er durch die Klicks der Kunden unglaublich viel Datenmaterial zur Verfügung hat.“ Ein ganz großes Thema dabei sei es, Bedarfsprognosen zu verbessern. Das sei einer der Schlüsselfaktoren. Denn wer Bedarfe besser prognostizieren könne, sei in der Lage, zielgerichteter Bestände vorzuhalten und die Logistikabwicklung zu planen. Tripp: „Da passiert noch viel zu wenig.“
Diese 2x5 Trends prägen die E‑Commerce-Logistik
Endkunden und Markt
1.
Die kaufkräftigen Konsumenten der Zukunft leben online, lieben Bequemlichkeit, entscheiden spontan und sind erlebnis- und markenaffin.
2.
Die Präferenzen der Konsumenten entwickeln sich zunehmend ambivalent zwischen maximaler Individualität und hohem Nachhaltigkeitsanspruch.
3.
Endkunden erwarten ein nahtloses Einkaufserlebnis und bewegen sich situativ zwischen den Kanälen hin und her.
4.
Die Gefahr, dass Lieferservices eine Selbstverständlichkeit werden, da Endkunden auch künftig nur bedingt zahlungsbereit sind.
5.
Die größten Wachstumsraten im Onlinehandel werden „Brand Verticals“ erzielen, die gepusht durch Social Media – ihre Direktvertriebsmodelle ausbauen.
Logistik
1.
Das Erbringen von Lieferservices wird individueller, nachhaltiger, dezentraler und noch stärker datenbasiert.
2.
Für stationäre Händler mit Onlinegeschäft entscheidet die Leistungsfähigkeit ihrer Omnichannel-Logistik über den künftigen Erfolg.
3.
Kontinuierlich steigender Kosten-, Service- und Ressourcendruck forciert eine weitere Automatisierung und den verstärkten Einsatz von Technik.
4.
Die Dynamik auf der letzten Meile wird nicht nachlassen – im Gegenteil: Neue Spieler und neue Kooperationen bringen viel Bewegung.
5.
Die großen E‑Commerce-Akteure fahren umfassende Make-Strategien und bauen ihre Logistikkapazitäten aus. Währenddessen läuft die dritte Welle des Outsourcings.